Schlagwort: Palästina

  • Kein Genozid in Gaza? Nein, es ist schlimmer.

    Auf einem Plakat für eine Demo würde ich die Situation in Gaza so zusammenfassen:

    „Kein Genozid in Gaza?

    Nein, es ist schlimmer.

    Es ist unmenschliche Barbarei.

    Viele Juden stimmen dem zu.“

    Und wer immer noch daran zweifelt, dass Israel in Gaza einen Völkermord begeht, sollte nach den aktuellen Beiträgen von Omer Bartov suchen. Der in Israel geborene Völkerrechter Omer Bartov ist Holocaust-Forscher und Genozid-Experte. In der Wochenzeitung „der Freitag“ vom 18.09.2025 ist mit ihm beispielsweise ein Interview erschienen:

    Omer Bartov, wer ist für Israels Genozid in Gaza verantwortlich? Sind wir mitschuldig?

    Darin sagt er zur Frage, ob Israel in Gaza einen Genozid begeht:

    „Ich hatte schon 2023 gewarnt, dass sich die Verbrechen in Gaza zu einem Genozid ausweiten könnten – doch die Gewissheit kam im Mai 2024. Das israelische Militär rückte in Rafah ein, wo sich über eine Million Menschen drängten – die Hälfte der Bevölkerung Gazas, zuvor aus dem Norden vertrieben. Die Menschen wurden nach Al-Mawasi geschickt, in ein Gebiet ohne jede Infrastruktur, ohne Wasser, ohne Nahrung, ohne medizinische Versorgung. Rafah wurde zerstört. Für mich war da klar: Israels Handeln ist nicht mehr auf die offiziell genannten Kriegsziele – Zerstörung von Hamas und Befreiung der Geiseln – gerichtet. Es war vielmehr Ausdruck jener entmenschlichenden Rhetorik von Beginn an. Gaza sollte unbewohnbar werden. Und das geschah systematisch: Häuser, Schulen, Universitäten, Moscheen, Museen, Wasserwerke, Parks – alles wurde angegriffen.“

    Der Beitrag geht darüber hinaus der Frage nach, inwiefern sich Deutschland mitschuldig macht. Bartov kommt zu dem Schluss:

    „Die Völkermordkonvention verpflichtet ausdrücklich zur Prävention – nicht nur zur Bestrafung im Nachhinein. Sie heißt ja nicht zufällig ‚Konvention zur Verhütung und Bestrafung‘. Die Vertragsstaaten müssen nicht erst auf ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs warten. Im Gegenteil: Sie sind verpflichtet, sofort tätig zu werden, um ihn zu verhindern. Wer das nicht tut, verstößt selbst gegen internationales Recht.“

    Die gleiche Sichtweise vertritt auch Christoph Heusgen, ehemaliger außenpolitischer Berater von Angela Merkel. In einem Interview mit der Wochenzeitung „der Freitag“ vom 01.07.2025 sagte er:

    „Der Internationale Gerichtshof geht davon aus, dass die Gefahr eines Genozids im Gazastreifen besteht, und hat Auflagen gemacht, die von Israel zum größten Teil nicht erfüllt wurden. Es ist nicht auszuschließen, dass Deutschland als Komplize ebenfalls vom IGH verurteilt werden könnte. Das muss alles in unsere Analyse miteinfließen. Deswegen: Wir dürfen auf keinen Fall Waffen liefern, die im Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung benutzt werden können!“

    Also ich will nicht an diesem Genozid mitschuldig sein. Vielleicht nützt es etwas, am kommenden Wochenende am 27.9. in Berlin an dieser Demo teilzunehmen:

    https://www.zusammen-fuer-gaza.de

    Fediverse-Reaktionen
  • Innere Zensur

    In meinem Beitrag „Humanitäre Stadt = Ghetto. Und was kommt nach dem Ghetto?“ schreibe ich unter anderem: „In Deutschland ist es nicht so einfach, etwas gegen Israel zu sagen. Es besteht die Gefahr, als Antisemit wahrgenommen zu werden. Das aber kommt in Deutschland dem gesellschaftlichen Tod gleich. Da sagt man lieber nichts. Oder man äußert nur vorsichtig seine ‚Besorgnis‘.“

    Im Prinzip den gleichen Gedanken finde ich in einem Interview des Tagesspiegels mit Lea Ypi, der albanisch-britischen Philosophin und Professorin für Politische Theorie.

    Hier stellt sie sich die Frage: „Wie kann man seine Integrität und moralische Haltung bewahren?“

    Ihre Antwort:

    „Indem man sich fragt, was die richtige Handlung ist – nicht, was gerade nützlich oder bequem wäre. Die innere Freiheit kann nicht genommen werden. Aber sie hat einen Preis: Wer seine Würde bewahren will, zahlt dafür oft mit Nachteilen, mit Ausgrenzung oder mit Schuld. Meine Großmutter stand vor schärferen Zwängen, aber die Logik ist vergleichbar heute. So erleben viele eine innere Zensur: Man möchte etwas zu Palästina sagen, aber schweigt aus Angst, den eigenen Ruf zu gefährden.“

    Der Anlass des Interviews ist das Erscheinen Ihres Buches „Aufrecht. Überleben im Zeitalter der Extreme“. In diesem Buch rekonstruiert sie die Lebensgeschichte ihrer Großmutter. Geboren in der osmanischen Aristokratie erlebte diese später Albanien unter faschistischer Besatzung und kommunistischer Herrschaft.

  • Verschont mich von der Wirklichkeit

    Nachdem Bundeskanzler Friedrich Merz am 08.08.2025 einen Exportstopp für bestimmte Rüstungsgüter nach Israel verkündet hat, schreibt sein Parteikollege Roderich Kiesewetter am gleichen Tag auf X:

    Einem Freund wie Israel vertraue ich, dass er die Waffen völkerrechtskonform einsetzt. Mit der Aussetzung unterminiert man deshalb quasi das Völkerrecht, indem Israels Recht zur Selbstverteidigung zumindest eingeschränkt wird.

    Zur Quelle auf X

    Bericht darüber in der Süddeutschen Zeitung

    Das Vorgehens Israels noch mit dem Wort „völkerrechtskonform“ zu verbinden ist ein Fall von Wirklichkeitsverleugnung. Oder von: Da will ich gar nicht so genau hinsehen. Oder von: Verschont mich von der Wirklichkeit.

    Die genaue Entsprechung zu dieser Wirklichkeitsverleugnung bietet der Bericht Denial accomplished. Israelis Can’t Be Moved by a Gaza Famine They Don’t Think Exists in der israelischen Tageszeitung Haaretz. Laut einer aktuellen Umfrage sind 79% der israelischen Juden „nicht so besorgt“ oder „überhaupt nicht besorgt“ („not so troubled“ or „not troubled at all“) über Berichte zum Leiden und Hunger der palästinensischen Bevölkerung in Gaza.

    Haaretz kommentiert:

    „Diese traurige Statistik ist genau das, was die Regierung will: Wie können Israelis besorgt sein von etwas, das sie nicht glauben wollen, oder von etwas, das zu glauben ihnen verboten wurde?“ (Übersetzung: M.Lohrer)

    Im Original Englisch: „This sad statistic is precisely what the government wants: How can Israelis be troubled by something they’ve either chosen not to believe, or aren’t allowed to?“